Um ehrlich zu sein, bin ich recht unvorbereitet in den Flieger nach Istanbul gestiegen. Natürlich hatte ich mir schon Wochen vorher vorgenommen, mich in diese überschwangere Stadtgeschichte einzulesen. Die äußeren Bedingungen mit Arbeit et cetera und vielleicht auch meine Lebensweise, Dinge auf mich zukommen zu lassen, führten dazu, dass ich vor dem Gate saß und mir dachte,
Häh, du weißt ja gar nix!
Während sich die zukünftigen Flugpassagiere sich schon zu einer langen Schlange aufstellen, bleibe ich sitzen und schaue mir die Menschen an, mit denen ich in wenigen Momenten das gleiche Erlebnis teilen werde: Drei Stunden über den Wolken. Ich sehe Frauen mit und ohne Kopftuch, junge Familien, ältere Damen und Herren, kleine Männergruppen im jungen Erwachsenenalter. Ich glaube, außer mir habe ich nur ein Teenie, scheinbar alleinreisend, mit dunkler Hautfarbe und zwei blonde, europäischen Mädels in weißem Kunstpelz gesehen. Ansonsten schienen es für mich Türken zu sein, die in die Heimat wollten.
Kurzer Einschub: Die blonden Mädels sind mir schon bei der Gepäckaufgabe akkustisch aufgefallen, weil der weiße Pelz freudig und mit extrem guter Laune mit einem Elternteil telefonierte. Scherzhaft sagte sie, sie (die Mutter?) solle sich keine Sorgen machen, außer Party und um die Häuser ziehen würden sie sowieso nichts anderes machen und sie wisse auch, dass sie nicht bei Fremden ins Auto steigen soll, auch wenn sie noch so tolle Süßigkeiten hätten. Ich musste lachen.
Mein Blick bleibt an einem türkisch aussehenden, jungen Mann hängen. Sein Gesamterscheinen lässt mich vermuten, dass er womöglich ein angehender Journalist sein könnte, zumindest jemand, der viel wissen könnte, vielleicht hat er studiert? Wie interessant die Arbeit eines Journalist sein könnte, fängt es in mir an. In Kulturen eintauchen, direkt mit den Menschen reden, Eindrücke sammeln und in eine Form bringen… Mit solchen Gedankenspielen merke ich gar nicht, wie ich nun als Erste in der Schlange stehe, Boardkarte und Pass vorzeige und die Schwelle in das Flugzeug übertrete. Leicht enttäuscht von der ausbleibenden Begrüßung der Stewardess, die im Eingang des Flugzeugs steht und das Einsteigen bewacht, übe ich mich in Sachen Geduld per Atem- und Mentalübungen, um endlich an meinen Platz zu gelangen.
Ich traue meinen Augen nicht
Die Platznummer angestrengt im Blick nähere ich mich meiner Erlösung und wer sitzt da neben meinem noch freien Platz? Tatsächlich dieser junge Mann! Von ALLEN Möglichkeiten… !
Ich bin baff und muss mit dem Universum lachen und nehme mit stillem Nicken meinen Platz ein.
- Raus aus der Wolkendecke – Hallo Sonne!
- Wie kleine Kinder hängen wir am Fenster und staunen
Um es kurz zu fassen
Nach einem anfänglichen, überwiegend wortlosem Nebeneinandersitzen musste ich dann doch die Stille brechen. Ich habe ihn genug geschont, dachte ich mir. Dann ab dem ersten Wort haben wir geredet und geredet. Es hörte erst auf, nachdem wir im SAW Istanbuler Flughafen gemeinsam die Metro genommen haben, bis ans andere Ende gefahren sind und er mich bis zu der Fährenstation in Kadıköy gebracht hat. Ich bin ihm sehr dankbar, nicht nur weil er mir all meine bislang aufgestauten Fragen zur Geschichte, Religion, Sprache, Essen und alltäglichem Leben in der Türkei geduldig und ausführlich beantwortet hat, sondern auch weil er meine erste und auch wertvolle Begegnung auf meiner Reise war.
- Metro: Endstation zu Endstation
- Meine erste Fähre über den Bosporus
Meine ersten Worte auf Türkisch
Ich habe ihn gefragt, wie man auf Türkisch sagt, wenn man sich zum ersten Mal begegnet und sich freut. Für das „Freut mich, dich kennenzulernen“ war meine Aufnahmekapazität nicht mehr in der Lage, zu lang. Also hat er mir die Kurzform in die Diktier-App gesprochen.
Dieser Spruch war Gold wert in den kommenden Wochen und jedes Mal, wenn ich es ausspreche, liegt mir seine Stimme in den Ohren 🙂
Sehr gute und ausführliche Beschreibung, vor allem sehr lebendig, sodass ich mich beim Lesen alle emotionelle Freude und Spannungen mitfühle.